Auf den ersten Blick scheint der Punkt ein ziemlicher Langweiler zu sein. Nachdem alles schon gesagt ist, hängt er sich hinten an jeden Satz an und markiert, wo der eine endet und der andere anfängt. Eine Lesehilfe, sonst nichts. Tatsächlich aber steckt viel mehr hinter diesem kleinen Gebilde. Der Punkt gehört sogar zum Rätselhaftesten, was es gibt.
Das jedenfalls behaupten die Mathematiker. Wenn man ihnen glaubt, gibt es den Punkt gar nicht. Denn seine Fläche ist null -und seine räumliche Dimension ebenfalls. Auf den Punkt gebracht: Der Punkt ist materiell überhaupt nicht existent. Wir können uns einen Punkt vorstellen, der immer noch kleiner und kleiner ist – aber ein Punkt ohne Ausdehnung übersteigt unsere Brainpower.
Generationen von Philosophen haben trotzdem darüber nachgegrübelt, wie der Punkt zu definieren sei, und vor gut 2.300 Jahren fand der griechische Mathematiker Euklid die Antwort. Dieses Genie, das um 300 v. Chr. in der heute ägyptischen Hafenstadt Alexandria am Hofe der Ptolemäer lebte, stellte in seinem Handbuch über »Die Elemente» jene Definition auf, die bis heute Gültigkeit hat: »Ein Punkt ist etwas, das keine Teile hat.«
Genau diesen Punkt meinen auch moderne Astrophysiker, wenn sie sagen, dass das gesamte Universum aus einem »Null-Punkt« entstanden ist: Vor 13,7 Milliarden Jahren wurde das Weltall im so genannten Urknall geboren, einer gewaltigen Explosion, die sich aus einem Punkt heraus entwickelt hat. Alle heute bekannten Kräfte waren in dieser »Singularität« vereint. Und weil die Gesetze der Physik in diesem Punkt versagen, grübeln die Wissenschaftler darüber nach, was den Zustand dieses Ur-Punktes stattdessen bestimmt haben könnte: Ihre Suche gilt der »Weltformel«.
Nicht weniger bizarr erscheint jener punktförmige Zustand, der immer dann entsteht, wenn massereiche Sonnen »sterben«. Sobald ein solches Gebilde ausgebrannt, also der Hitzeofen in seinem Inneren erloschen ist, gibt es nichts mehr, was den Zusammenbruch stoppen könnte: Die übrig gebliebene Materie der Sonne fällt immer weiter in sich zusammen, bis sie am Ende in einem unendlich kleinen und unendlich dichten Punkt komprimiert ist – einem Schwarzen Loch. Es ist materiell nicht vorhanden, gleichzeitig enthält es die ganze immer noch gigantische Materie der toten Sonnen – deshalb üben Schwarze Löcher eine unvorstellbare Schwerkraft aus: Aus ihnen kann nicht einmal Licht entkommen.
Exotisch mutet auch ein anderer Punkt an: der absolute Temperatur-Nullpunkt. Der britische Physiker William Lord Kelvin hat schon im Jahre 1848 herausgefunden, dass die Temperatur nicht unter minus 2.73,15 Grad Celsius sinken kann. Seine Berechnungen bauten auf einer Beobachtung des Franzosen Joseph Louis Gay-Lussac auf: Bei Erwärmung um ein Grad dehnen sich Gase um exakt ein 273stel ihres Volumens aus. Kühlt man sie ab, ziehen sie sich um den gleichen Wert zusammen. Daraus zog Kelvin die richtige Schlussfolgerung: Bei minus 273 Grad Celsius muss Schluss sein, denn weniger als das Volumen null kann Gas nicht haben. Dieser absolute Temperatur-Nullpunkt wird seitdem durch eine neue Maßeinheit ausgedrückt: null Kelvin. Ein rein rechnerischer, abstrakter Wert – der aber auf Tief Temperatur-Physiker eine enorme Anziehungskraft ausübt. Sie versuchen, ihm im Labor möglichst nahe zu kommen, denn in der Megakälte treten ganz neue Eigenschaften der Materie zutage: So werden viele Metalle supraleitend – sie verlieren ihren elektrischen Widerstand und verändern ihr Magnetfeld. Ohne supraleitende Materialien wären Teilchenbeschleuniger oder Kernspintomografen nicht denkbar. Urknall, Schwarze Löcher; Temperatur: Was hier als Nullpunkt definiert ist, ist Mathematik pur -ein Ding, das seine Existenz in Formeln fristet, das man weder sehen, fühlen noch spüren kann. Und obwohl wir das gleiche Wort dafür verwenden, sind die Punkte in unserem Alltag etwas völlig anderes. Am häufigsten kommen sie als Schriftzeichen vor -jene Marken, die Sätze voneinander trennen. Eine besondere Funktion hat der Punkt als »diakritisches« (unterscheidendes) Zeichen: In der arabischen Schrift zum Beispiel macht er – über oder unter gleich aussehende Buchstaben gesetzt – aus Konso nanten Vokale. In der Musik ist der Kontrapunkt Bestandteil der Kompositionslehre; ein Punkt hinter einer Note verlängert deren Zeitwert um die Hälfte; ein Punkt über oder unter der Note bedeutet, dass sie »staccato« zu spielen ist. Börsianer drücken das Steigen oder Fallen von Kurswerten oder Indices in Punkten aus, und Landvermesser orientieren sich an Messpunkten, um Karten zu erstellen. Im Sport und in der Schule begegnet uns der Punkt als Wertungseinheit, und im Restaurant bestellen wir das Steak »ä point« – auf den Punkt gebraten. Wir diskutieren über Sinn und Unsinn des »Grünen Punktes«, ärgern uns über die Punkte in der Flensburger Verkehrssünderkartei und hoffen, dass unser Heilpraktiker die Akupunkturpunkte richtig trifft. Blinde nutzen das Sechs-Punkte-System der »Braille-Schrift«, wenn sie mit den Fingern lesen.
In der Kunst hat der Punkt zu neuen Gestaltungsideen angeregt. So entstand Ende des 19. Jahrhunderts eine völlig neue Maltechnik, der Pointillismus (frz. pointiller = mit Punkten darstellen). Die Künstler trugen nicht mehr gemischte Farbe als Flächen auf die Leinwand auf, sondern setzten unvermischte Farben als kleine Punkte nebeneinander: Erst das Auge des Betrachters »mischt« die Farben und setzt sie zu Flächen und Gegenständen zusammen. Als »Meister des Punktes« gelten die Franzosen Georges Seurat (1859 – 1891) und Paul Signac (1863 – 1935). Auch abstrakte Maler experimentierten mit dem Punkt als kompositorischem Grundbaustein – etwa der russische Maler Wassily Kandinsky (1866 – 1944) und sein deutscher Kollege Paul Klee (1879 – 1940).
Mit dem Anbruch des Computer- und Internetzeitalters weitete sich das Herrschaftsgebiet des Punktes sprunghaft aus: Er mutierte zum »Pixel«, dem kleinsten digitalen Bildpunkt von Monitoren und digitalen Kameras, und wurde zum unverzichtbaren Bestandteil jeder Internetadresse. Ins Englische übersetzt, ist der Punkt (»dot«) zum Synonym für das ganze Internet-Business geworden: Anbieter im World Wide Web werden als »dot.com-Firmen« bezeichnet. Auch in den Firmennamen selbst taucht der Punkt zunehmend auf – etwa in »[i:punkt]«.
Leben wir in einem Zeitalter der Punkte? Es gibt Treuepunkte im Supermarkt, Bonuspunkte bei der Airline, beim Autovermieter, beim Friseur. Je mehr Punkte man sammelt, desto größer der Rabatt. Aber auch wenn es nicht ums Sparen geht, sind wir scharf auf Punkte: Jüngst stritten mehrere Gemeinden darum, welche der »geografische Mittelpunkt« Deutschlands sei. Nicht uner wähnt bleiben darf auch der berühmte »G-Punkt«. Er wurde 1950 von dem deutschen Gynäkologen Ernst Gräfenberg entdeckt, soll sich über dem Schambein an der Innenseite der vorderen Bauchwand befinden und bei Stimulation einen besonders intensiven Orgasmus auslösen.
Auch wenn der Punkt uns in immer neuer Form entgegentritt: Seine Karriere als Satzzeichen ist ungebrochen. Wie wichtig er ist, merkt man erst, wenn er fehlt – in Texten »ohne Punkt und Komma«. James Joyce (1882- 1941) zum Beispiel lässt in seinem berühmten Roman »Ulysses« eine gewisse Molly Bloom etwa 40 000 Wörter lang ohne Satzzeichen über Gott und die Welt monologisieren. Das Weglassen des Punktes macht jedem Leser bewusst, in welchem Maß dieses Satzzeichen das schnelle Verständnis von Texten fördert. Vielleicht ist das auch der Grund, warum der Punkt dem gesamten System der Zeichensetzung den Namen gab: Interpunktion.
Der Punkt ist das älteste Satzzeichen und das bis heute meistgebrauchte dazu. Aber dass er die grammatische Struktur von Texten gliedert – das war keineswegs immer so. Ursprünglich nämlich diente er in antiken griechischen und lateinischen Schriften lediglich als »distinctio« – er markierte Stellen, an denen der Sprecher beim Vortragen des Textes eine Pause zum Luftholen machen konnte, ohne den Sinnzusammenhang zu stören. In altgriechischen Schriften geben ein, zwei bzw. drei Punkte zwischen den Wörtern den jeweils optimalen Rhythmus von Sprechen und Atmen vor.
Der Punkt als Satzschluss-Zeichen, wie wir ihn heute kennen, wurde im Orient erfunden – in Alexandria. Im 3. und 2. Jahrhundert vor Christus war diese Stadt – und nicht mehr Athen -das literarische und wissenschaftliche Zentrum der Alten Welt: Hier konnten sich die genialsten Köpfe ihrer Zeit ohne Beschränkungen und unter optimalen Bedingungen ihren Studien widmen. So war in jener Zeit ein Kreis von Gelehrten darum bemüht, sich an der Sprache der alten Dichter zu schulen, vor allem an den Texten von Homer. Doch diese mussten erst einmal gesammelt, verglichen und »entstaubt« werden – es musste also alles, was den gelehrten Männern sprach- und sinnwidrig erschien, eliminiert werden. Dabei machte sich der damalige Direktor der berühmten Bibliothek von Alexandria besonders verdient: ein gewisser Aristophanes (um 257 – 180 v. Chr.) aus der griechischen Kolonie Byzanz. Er »edierte« wichtige Ausgaben von Homer und Hesiod und suchte dabei nach einer Möglichkeit, die Verständlichkeit der Texte zu verbessern. Sein Trick: Er setzte den Punkt erstmals so, dass dieser den Abschluss eines Gedankens markierte. Damit ging Aristophanes als Begründer der klassischen Philologie in die Geschichte ein.
Als die Römer ihr Weltreich errichteten, übernahmen sie die philologische Errungenschaft der Griechen. Aber dazu brauchten sie einige Zeit, denn lateinische Texte waren traditionell als »scriptio continua« geschrieben – als ein zusammenhängender Fluss aus eng stehenden Wörtern. Der Grund: Wachstafeln waren zu klein und Papyrusbögen zu teuer, um Platz zu verschenken. Aber schließlich setzte sich auch hier der philologische Fortschritt durch: Römische Autoren gliederten ihre Texte zunehmend durch Punkte – indem sie mit dem Schreibgriffel Einstiche auf den wächsernen Schreibtafeln anbrachten. Sie nannten sie » punctum «(» das Gestochene «) – der lateinische Sprachstamm des deutschen Wortes »Punkt«.
In dem wohl ältesten erhaltenen Papyrus, dem berühmten »Palatine Virgil« aus dem 5. oder 6. Jahrhundert, werden die Wörter noch abstandslos aneinander gereiht. Mit Punkten werden nur ab und zu Sinnabschnitte markiert. Danach beginnt der Punkt seinen Siegeszug. Und als sich das Geschriebene – vor allem durch
die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert – gegenüber dem Gesprochenen immer mehr verselbstständigt, ist er aus der Sprache nicht mehr wegzudenken.
Und das im doppelten Sinn: Zum einen ist der Punkt das grammatische Satzende-Zeichen – zum anderen dient er seit Aufkommen desBleisatzes als Maßeinheit der Schriftgröße. Einer der Ersten, die ein einheitliches Schriftsystem (Typografie) einführen wollten, war der Franzose Pierre Simon Fourier. Er entwickelte 173 5 ein Punktsystem zur Angabe von Schriftgrößen, das sich an einem ziemlich willkürlich festgesetzten Ausgangsmaß orientierte – einem etwa 30 Zentimeter langen »prototype«. Dieses teilte Fourier immer wieder von neuem, bis er seinen »point typographique«, eine Punktgröße von 0,3472z Millimetern, errechnet hatte. Wenn ein Auftraggeber einen Text in einer bestimmten Schriftgröße drucken lassen wollte, bestellte er ihn z. B. in »zehn Punkt«: Die Zeilen waren dann einheitlich 3,4722 Millimeter hoch.
Doch damit war der Punkt als Schriftgröße keineswegs ein für allemal definiert. Denn Fourier hatte einen Fehler gemacht. Sein typo-grafisches System orientierte sich nicht an der damals in Frankreich vorgeschriebenen Masseinheit „ pied du roi“: Der Fuss des Königs“ hatte eine Länge von 3 2,4 und nicht von 30 Zentimetern. Also musste das Punktsystem ein zweites Mal aufgestellt werden, und das leisteten 1784 Francois Didot und sein Sohn Firmin. Sie gingen vorschriftsgemäß von des Königs Fußlänge (immer noch 32,4 Zentimeter) aus, teilten diese (warum auch immer) durch 864 und kamen so auf eine Punktgröße von 0,375 Millimetern.
Aber auch damit fand der typografische Punkt keine Ruhe. Die deutschen Schriftgießereien beschlossen 1878, das Didot-System zu übernehmen, es aber auf den seit 1875 verbindlichen Meter zu übertragen. Jetzt hatte ein Meter 2660 Didot-Punkte. Ein Punkt war dementsprechend 0,3759 mm groß. Oder 0,3514598 Millimeter: Dieses Maß für den so genannten Pica-Punkt (pp) kam 1886 mit der Einführung der Linotype-Zeilengussmaschine aus den USA nach Europa. Seit Computer die grafischen Abteilungen der Verlage beherrschen, ist die Größe des Punktes noch einmal zurechtgerückt worden: Der DTP-Punkt (DTP = »Desk Top Publishing«) wurde auf den 7zsten Teil eines amerikanischen Inches (25,4 Millimeter) festgelegt, also auf 0,353 Millimeter.
Dem jahrhundertlangen Hin und Her um das rechte Maß ist es wohl zu verdanken, dass der Punkt neben Minute und Sekunde zum Symbol für die Genauigkeit wurde. Die Sprache bringt es zum Ausdruck: Wir bitten uns Pünktlichkeit aus und bringen einen komplexen Sachverhalt auf den Punkt. Wir haben einen Standpunkt, sehen uns auf dem Höhepunkt unserer Karriere, analysieren Wendepunkte der Geschichte und sprechen gern vom »springenden Punkt«, wenn wir den »Kern einer Sache« meinen. Wir stimmen mit anderen manchmal »nur bis zu einem gewissen Punkt« überein, und wenn wir keinen Widerspruch mehr dulden, beenden wir eine Diskussion mit dem Ausruf »Punktum! « – der unmissverständlich einen Schlusspunkt setzen soll.
Womit wir wieder beim Punkt als Satzende-Zeichen angekommen wären. Diese Rolle spielt er aber nur in der europäischen Kultur. Im Arabischen ist es genau umgekehrt: »Bei unserer Schrift ist der Punkt der Anfang«, sagt ein arabischer Kalligraf namens Manour in Lilian Noetzels Roman »Belishs Garten« (2004). Damit ist nicht gemeint, dass der Punkt in arabischen Kulturen immer am Anfang des Satzes steht – sondern dass er das Zentrum der gesamten arabischen Kalligrafie bildet. In dieser ornamentalen Schreibkunst werden bis heute vor allem religiöse Texte, Auszüge aus dem Koran sowie überlieferte Aussprüche der Propheten weitergegeben.
Für alle Buchstaben der arabischen Kalligrafie ist ein rhombenförmiger Punkt das Grundmaß. Er entsteht, wenn man mit der Qalam – einem Stück Schilfrohr – Tinte auf das Papier aufträgt. Das Schilfrohr ist auf der Schreibseite quadratisch zugeschnitzt und dann schräg durchschnitten – die Schnittstelle bildet sich auf Papier als Rhombus ab. Dieser Punkt muss genauso breit sein wie vierundzwanzig nebeneinander gelegte Eselshaare. Und das »alif« -der erste Buchstabe des arabischen Alphabets – muss je nach verwendetem Schriftstil zwischen sechs und acht solcher Punkte in der Höhe messen.
All diese typografischen Festlegungen gehen auf den persischen Minister, Dichter und angesehenen Schriftmaler Ibn Muqla (866- 940) zurück, der unter dem abbasidischen Kalifen al-Muqtadir diente. Sein Ziel war die Vereinheitlichung des Schriftbilds im gesamten islamisch-arabischen Reich, und er gilt als Erfinder der klassischen Kursivschriften dieses Kulturkreises. Weil Muqla auch ein politischer Aktivist war, wurden ihm aber nicht nur Ehre und Ruhm zuteil. Nach einem vergeblichen Versuch, den Kalifen zu stürzen, wurde ihm zur Strafe die rechte Hand abgeschlagen, damit er nicht mehr schreiben konnte. Er kam ins Gefängnis, wo er einsam starb. Aber sein auf einem Punkt basierendes Schriftsystem hat sich bis heute erhalten. Seit über tausend Jahren schnitzen die islamischen Kalligrafen ihre Rohrfedern entsprechend den Punktmaßen von Muqlas »al-Khatt al-Mansub« – der »proportionierten Schrift«. Aber niemals fragte irgendjemand danach, wie der Schriftgelehrte darauf gekommen wai; z. B. die Größe von Buchstaben als das x-fache seines Punktes festzulegen.
Dieses ganze Punktsystem blieb im Grunde jahrhundertelang ein Geheimnis. Von Muqla selbst sind keine schriftlichen Quellen erhalten; nur seine Nachfolger hielten seine Regeln fest.
Erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts gelang es einem Forscher, das Rätsel zu lösen. Der britisch-ägyptische Künstler und Kalligrafie-Forscher Dr. Ahmed Mustafa enthüllte nach 14 Jahren intensiver Studien: Der berühmte rhombische Punkt ist in ein präzises geometrisches »Netzwerk« aus Kreisen, Dreiecken, Geraden usw. eingebettet. Schaut man sich z. B. geschwungene Buchstaben an, die einen Halbkreis formen, so stellt man fest: Der Durchmesser des Kreises entspricht exakt der Größe des Buchstabens »auf«, die wiederum auf dem Vielfachen eines Punktes basiert. Die ganze arabische Kalligrafie ist auf diese Weise von einem Netz geometrischer Formen durchzogen. Und diese Formen – auch das hat Mustafa festgestellt – entsprechen haargenau den Definitionen der klassischen Geometrie von Euklid. Wie kann das sein?
Man weiß heute, dass die Muslime nahezu alle Schriften der griechischen Mathematiker ins Arabische übersetzten – lange bevor sie ins Lateinische übertragen wurden. Auch Ibn Muqla muss »seinen« Euklid gekannt haben – jedenfalls ließ er sich von ihm zu seiner »proportionierten Schrift« inspirieren. Der persische Gelehrte übertrug den Punkt als Zentrum der euklidischen Geometrie auf die islamische Kalligrafie. Hier diente der Punkt fortan als einheitliches Bezugssystem der arabischen Buchstaben. Damit bekommt der Punkt eine Bedeutung, die man ihm auf den ersten Blick sicher nicht ansieht: Er ist ein kulturelles Bindeglied zwischen Okzident und Orient. Vielleicht denken wir demnächst daran, wenn wir wieder einmal einen Satz mit diesem Zeichen beenden: In dem kleinen Punkt steckt eine Menge »Multikulti«.
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