Eines Tages, so erzählt eine Legende, wurde der Prophet Mohammed von quälender Ungewissheit über seine visionären Einsichten heimgesucht. Da leitete ihn ein Engel auf einem geflügelten Schimmel nach Jerusalem. Von einem Felsen aus stieg er hier auf einer Leiter in den Himmel, holte sich Rat und kehrte gestärkt auf die Erde zurück.
War es eine der vielen Visionen, aus denen der Prophet seine Einsichten empfing – oder ein Traumerlebnis? Eine Andeutung über diese nächtliche »Himmelsreise« findet sich jedenfalls im Koran, dem heiligen Buch der Muslime. Legenden haben immer den Realitätsgehalt, den ihnen der Gläubige beimisst. Für Mohammeds Nachfolger hatte dieses Erlebnis eine außergewöhnliche Bedeutung. Schon wenige Jahre nach seinem Tod erbauten sie über diesem Felsen eine Moschee – den berühmten Felsendom mit seiner weithin leuchtenden goldenen Kuppel.
Für die Muslime ist Jerusalem seither eine heilige Stätte. Und da Jerusalem auch die heiligen Stätten der Juden und Christen birgt, konzentrieren sich hier in unmittelbarer Nachbarschaft die drei großen monotheistischen Weltreligionen. Sie haben ja auch mehr Gemeinsamkeiten, als es die vielen Jahrhunderte der Feindschaft vermuten lassen.
Mohammed, Angehöriger des arabischen Stammes der Quraisch, wurde um 570 n. Chr. in Mekka geboren. Mekka war neben Medina die bedeutendste Stadt Arabiens. Hier befand sich schon damals das Heiligtum der Kaaba, wo verschiedene Gottheiten verehrt wurden, unter anderem der Mondgott Hubal. Mohammed verliert früh seine Eltern, hütet Herden in der Steppe, heiratet die wohlhabende Witwe Chadidscha und ist nun ein gemachter Mann. Als Karawanenführer kommt er weit herum und lernt auch viele jüdische und christliche Gemeinden genauer kennen.
Aber Mohammed ist ein zutiefst grüblerischer Mensch. Er sehnt sich nach einer Religion, die ihn mehr ausfüllt als die primitiven religiösen Formen seiner Umgebung. Darüber gerät er in eine tiefe innere Krise und sucht immer wieder die Einsamkeit. In meditativer Abgeschiedenheit erlebt er Visionen und erfährt Offenbarungen, die ihm nach eigener Aussage der Engel Gabriel vermittelt. Diese Offenbarungen werden später in den Koran gefasst. Langsam festigt sich in ihm der Gedanke, dass er zum Propheten dieser Offenbarungen berufen ist.
Um das Jahr 610 tritt Mohammed mit seinen Verkündigungen vor die Mekkaner. Er findet rasch zahlreiche Anhänger, denn die Sehnsucht nach einer tiefgründigeren Religion ist weit verbreitet. Bald mehren sich aber auch die Gegner, denn die Mekkaner fürchten vor allem um das einträgliche Geschäft mit den Kaaba-Pilgern. Eine Entscheidung fällt, als sich zahlreiche Pilger aus Medina zu Mohammed bekennen. Er folgt ihnen 622 in die 300 Kilometer nördlicher gelegene Stadt. Diese »Hidschra« (= Auswanderung) ist der Beginn der islamischen Zeitrechnung.
In Medina ist Mohammed nicht nur religiöser Führer, sondern entwickelt auch eine Gemeindeordnung: Ehe und Familie, Erbschaften, Almosen, Sklaverei werden gesetzlich geregelt. Und all das fließt nun ebenfalls in die Offenbarungen ein. Mohammed und der bald nach seinem Tod fixierte Koran werden zur Instanz in allen Rechtsfragen. Aber der Prophet kämpft nun auch gegen die Mekkaner. Die Kaaba bleibt ihm heilig, aber er will sie von der Vielgötterei lösen. Dass dies mit Kampf und Krieg geschieht, entspricht dem kriegerischen Geist der arabischen Stämme. 630 nimmt er Mekka ein, nachdem er bereits gegen verschiedene Stämme zu Felde zog, aber auch gegen die Juden und Byzanz. Als er im Jahre 632 in Medina stirbt, umfasst sein Herrschaftsgebiet weite Teile der arabischen Halbinsel.
Mohammed lehrte, und so steht es auch im Koran, dass Gott zu allen Zeiten Propheten mit der Botschaft zu den Menschen gesandt hat: »Es gibt keinen Gott außer Mir, also dient Mir. « Er selbst wird als das »Siegel der Propheten« gesehen, als der letzte Prophet. Aber der Islam schließt alle großen Propheten vor ihm ein: Abraham, Moses, Jesus und noch weitere. »Dadurch stellt sich der Islam«, so der Islamwissenschaftler Adel Theodor Khoury, »als die vollkommene Religion dar, welche die früheren Offenbarungen in ihrem Kern aufgenommen und endgültig ergänzt hat … Dies bedeutet im Anspruch die grundsätzliche Aufhebung aller früheren Religionen in ihrer universalen Geltung. «
Mit Abraham hat es noch seine eigene Bewandtnis. Im Koran steht, dass er die Grundmauern der Kaaba aufgerichtet habe und von Gott beauftragt worden sei, die Unreinheit des Heidentums zu beseitigen. Andere Belege gibt es dafür nicht. Der Islamwissenschaftler Rudi Paret nennt das Ganze ein »heikles Thema« und eine »Kultlegende«. Schon zu Mohammeds Lebzeiten gab es auch den »Dschihad«, ein Begriff, der in der Gegenwart häufig im Zusammenhang mit Palästina zu hören ist und der oft als »heiliger Krieg« übersetzt wird. Eigentlich bedeutet Dschihad so viel wie »Einsatz«. Dazu Khoury: »Dieser Einsatz gilt zunächst dem Schutz der islamischen Gebiete … Darüber hinaus soll der Machtbereich ausgedehnt werden, notfalls, so die klassische Lehre im Mittel-Alter, mit den Mitteln des bewaffneten Kampfes. «
Schon der erste Nachfolger Mohammeds, der Kalif Abu Bakr (arabisch chalifa = Nachfolger) hatte sogleich einen Dschihad gegen abtrünnige und auch andere Stämme zu führen. Omar (634–644), der nächste Kalif und eigentlich ein Anhänger der gewaltfreien Ausbreitung, führte auf Drängen seiner Truppen Feldzüge im Gebiet des heutigen Syrien und Irak; er eroberte zudem Jerusalem und Ägypten. Kalif Osman (644–656) veranlasste die ersten sarazenischen Raubzüge gegen Sizilien, eroberte Aserbaidschan, Armenien und Georgien und drang bis Afghanistan und zur indischen Grenze vor. Doch unter seiner Ägide kam es zu Meutereien, unter anderem deshalb, weil Osman die Sippe der Omayaden bevorzugte. Osman wurde schließlich von Aufständischen ermordet. Diese ernannten Ali, einen Vetter und Schwiegersohn Mohammeds, zum neuen Kalifen. Damit begann die Spaltung der Glaubensgemeinschaft in Sunniten und Schiiten.
Der Omayade Muawiya, Statthalter in Damaskus, weigerte sich, Ali anzuerkennen. Es kam zum Bruderkrieg, in dessen Folge die legendäre »Kamelschlacht« bei Basra stattfand. Diese wird so genannt, weil Aischa, ehedem die Lieblingsfrau des Propheten, an dem Gefecht gegen Ali teilnahm. Sie ritt auf einem weißen Kamel und feuerte ihre Krieger an. Als sie schließlich in Gefangenschaft geriet, wurde sie von Ali höchst ehrenvoll behandelt und zog sich aus der Politik zurück.
Eine zweite Schlacht verlief im Sande, weil, so lautet eine Erklärung, die Truppen Muawiyas Koransuren an ihre Lanzen geheftet hatten und Alis Soldaten sich deshalb geweigert hatten, gegen sie zu kämpfen. Und schließlich führten auch die Bemühungen um einen Schiedsspruch zu nichts. Muawiya legte ihn zu seinen Gunsten aus und begründete das Kalifat der Omayaden. Ali errichtete seine Residenz in Kufa am Euphrat, wurde aber 661 ermordet. Um sein Grab entstand der schiitische Pilgerort Nadschaf inmitten des irakischen Schiiten-Gebiets.
»Schia« bedeutet »Partei«, die Partei Alis. Die Schiiten erkannten (und erkennen) keinen der anderen Kalifen an. »Sunna« dagegen bedeutet so viel wie »Brauch, Sitte«; gemeint ist die Überlieferung vom Leben Mohammeds und seiner Aussprüche, die als Richtschnur des Handelns gelten. Einen prinzipiellen Unterschied zwischen Schia und Sunna gibt es eigentlich nicht; man muss eher von Besonderheiten im schiitischen Kultus sprechen. Ausgeprägt ist bei den Schiiten die Vorstellung von Sünde, Reue, Buße und Strafe. Und die Schiiten glauben, dass eines Tages ein von Gott gesandter Imam (Führer) wiederkehren werde, genannt al-Mahdi (der von Gott Geleitete), um die Spaltung zu beenden. Nachfolger Alis war sein Sohn Hussein, der im Kampf gegen die Omayaden 680 den Tod fand. Sein Grab in Kerbela ist ebenfalls Pilgerort; in seiner Nähe stießen die Amerikaner während des Irak-Krieges tagelang auf Widerstand. Heute bekennen sich mindestens zehn Prozent der Muslime zur Schia, vorwiegend im Irak, in Iran und Pakistan; im Iran ist die Schia Staatsreligion.
Den weitaus größeren Teil der islamisierten Territorien beherrschten ab 661 die Omayaden. Unter ihrem Kalifat dehnte sich die Herrschaft von Marokko und Spanien bis nach Mittelasien und zum Indus aus. Für die europäische Geschichte besonders relevant war 711 der Übergang über die Meerenge von Gibraltar (der Name leitet sich von dem muslimischen Feldherrn Tarik ab; Dschabal al-Tarik = Felsen des Tarik). In einem Sturmlauf ohnegleichen beendeten sie die Herrschaft der Westgoten, zogen durch ganz Spanien, das sie al-Andalus (Andalusien) nannten, und plünderten schon 723 das Rhonetal. 732 wurden sie dann jedoch mitten in Frankreich bei Tours und Poitiers vom Franken Karl Martell vernichtend geschlagen – einer der ganz großen Wendepunkte in der europäischen Geschichte. Bald darauf begann die große Reconquista, die Rückeroberung Spaniens, die sich bis ins 15. Jahrhundert hinzog.
Nach der Ermordung des letzten Omayaden ging das Kalifat 750 an die sunnitischen Abbasiden. Grund für den Umsturz war, dass die nicht-arabischen Muslime bis dahin nicht gleichberechtigt waren. So errichteten die Abbasiden ihre Residenz denn auch in Bagdad, außerhalb der arabischen Gebiete. Staatssprache blieb aber das Arabische, war es doch die Sprache des Korans. Die Verehrung dafür ging so weit, dass etwa der große Gelehrte al-Biruni (973–um 1050) sagte, lieber wolle er in Arabisch geschmäht als in Persisch gelobt werden. Einer der berühmtesten Kalifen dieser Epoche war Harun ar-Raschid, dessen Glanz und Weisheit in Tausendundeiner Nacht verklärt wurden.
In der Abbasiden-Zeit und auch noch danach entwickelten sich Wissenschaften und Künste zu einer staunenswerten Blüte. Parallel dazu entfaltete sich auch in Spanien eine außerordentliche Hochkultur. Und davon profitierte in hohem Maße auch Europa. Kaum zu überschätzen ist zum Beispiel die Tatsache, dass es muslimische Gelehrte waren, die die Philosophen und Naturwissenschaftler der alten Griechen (Aristoteles!) neu entdeckten und ins Arabische übersetzten. Auf diese Weise befruchteten sie nach weiteren Übersetzungen auf Jahrhunderte das abendländische Denken. Ibn Ruschd (lat. Averroes, 1126–1198) und Ibn Sina (lat. Avicenna, 980–1037), zwei führende Namen in der Geistesgeschichte, sind hier an erster Stelle zu nennen.
Ebenso waren Muslime jahrhundertelang führend auf den Gebieten der Medizin, Botanik und Alchemie, der Mathematik, Optik, Astrologie und Astronomie. Unsere Algebra trägt heute noch ihren arabischen Namen, unsere »arabischen« Ziffern wurden uns aus Indien über die Muslime vermittelt. Zahlreiche Lehnwörter weisen auf ihre orientalische Herkunft hin, wie etwa Tarif, Magazin, Zucker. Selbst unsere Gemüsearten, um noch ein Beispiel zu nennen, wurden durch muslimische Vermittlung vermehrt; so stammt etwa der Spinat aus Persien.
Im 10. Jahrhundert setzten sich innerasiatische Turkvölker in Richtung Westen in Bewegung. Sie traten rasch zum Islam über, wurden nach einem ihrer Führer Seldschuken genannt und nahmen den größeren Teil Anatoliens in Besitz, der bis dahin zu Byzanz gehörte. 1055 lösten sie die Abbasiden in Bagdad ab, auch wenn ein kleineres Abbasiden-Kalifat noch 200 Jahre überlebte; es ging dann 1258 in den Mongolenstürmen zugrunde.
Ende des 13. Jahrhunderts übernahmen in Kleinasien die ebenfalls turkmenischen Osmanen die Macht. Schon ihr erster Sultan Osman gab sich den Beinamen »Glaubenskrieger« und machte sich anheischig, den Islam mit den Waffen zu verbreiten – und das bedeutete vor allem: die Auslöschung von Byzanz, des allmählich immer stärker geschrumpften Oströmischen Reiches. 1453 fiel als letztes Bollwerk des Christentums die Hauptstadt Konstantinopel. Der Siegeszug der Osmanen quer durch den Balkan mit Stoßrichtung auf Wien war jahrhundertelang nicht aufzuhalten. Nach Spanien war das die zweite Bedrohung des europäischen Kerngebiets.
Das christliche Europa lag damals schon geraume Zeit immer wieder im Kampf mit Muslimen. Das Mittelmeer wurde seit etwa 800 von ständigen Raubzügen der arabischen Sarazenen heimgesucht, Sizilien und Malta von ihnen beherrscht. Zu besonders blutigen Auseinandersetzungen aber kam es seit 1096 in den Kreuzzügen. Auch wenn christlichen Pilgern vielfach erlaubt war, die heiligen Stätten in Palästina zu besuchen, saß der Stachel tief: Das Heilige Land sollte der Christenheit zurückgewonnen werden. Schon beim ersten Kreuzzug (bis 1099) »wateten«, so ein zeitgenössischer Bericht, die Kreuzfahrer »im Blut der Muslime und Juden«. Es wurden verschiedene Kreuzfahrerstaaten gegründet, aber keiner hatte Bestand. Das Ende der Kreuzzüge markierte 1201 der Fall der Stadt Akko – alle Christen wurden geköpft. »So rächte sich Gott der Erhabene«, schrieb ein muslimischer Chronist.
Von Nordafrika verbreitete sich der Islam seit dem 10. Jahrhundert gewaltlos auch nach Süden in der Sahelzone. Gleichzeitig wurden Teile Ostafrikas durch arabische Händler islamisiert. In Ägypten herrschten seit 1250 die Mameluken-Sultane. Die Mameluken waren zunächst Militärsklaven, die vorwiegend aus Mittelasien und dem Kaukasus stammten. Anfang des 16. Jahrhunderts nahmen dann die Osmanen Ägypten in Besitz, doch hielten sich die Mameluken bis ins 19. Jahrhundert als politisch-militärische Elite.
In Indien entstanden muslimische Reiche. So gab es etwa das Sultanat von Delhi; es ging Anfang des 16. Jahrhunderts im Reich der Großmoguln auf, das fast ganz Indien beherrschte. Mogul bedeutet eigentlich Mongole, denn die Dynastie war türkisch-mongolischer Herkunft. Bedeutendster Mogulkaiser war Akbar der Große (1542–1605). Er bemühte sich um einen Ausgleich zwischen Muslimen und Hindus und ist berühmt für seine Religionsdispute, in die auch Christen, Parsen und andere einbezogen wurden. Einer seiner Nachfolger erbaute den berühmten Tadsch Mahal im indischen Agra als Grabmal für seine Frau. Das riesige Reich zersplitterte allerdings allmählich und ermöglichte so die Ausbreitung der europäischen Kolonialmächte. 1859 wurde der letzte Mogulkaiser nach einem fehlgeschlagenen Aufstand abgesetzt. Ganz oder teilweise islamisiert waren seit dem späten Mittelalter auch die Malayische Halbinsel, Sumatra, Java und Borneo. Schon vor dem Fall Konstantinopels (1453) hatten die Osmanen den größten Teil des Balkans in Besitz genommen. 1529 standen sie zum ersten Mal vor Wien. Das Osmanische Reich war zur Großmacht auch gegenüber den europäischen Staaten geworden. Die Balkanländer wurden allerdings keines-
wegs durchgehend islamisiert, doch waren sie weitgehend tributpflichtig.
Von einem Dschiha im »klassischen« Sinn – Eroberung zur Verbreitung des Glaubens – konnte man durchaus nicht sprechen. Die zweite Belagerung Wiens endete 1683 mit der berühmten Niederlage am Kahlenberg. Von da an setzte aber auch schon der Niedergang ein (»Türkenkriege«). Er fand seinen Abschluss, als nach dem Ersten Weltkrieg
die Türkei – nunmehr Republik unter Atatürk – auf seine heutigen Grenzen reduziert wurde. Bis zum Ersten Weltkrieg war die islamische Welt bis auf wenige Ausnahmen einer kolonialen Herrschaft unterworfen – Ergebnis der übermächtigen europäischen Kolonialpolitik seit dem 18. Jahrhundert. Nach dem Ersten und vermehrt nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich alle diese Länder von der Fremdherrschaft befreien. Nur in der Russischen Förderation blieben einige Territorien mit einer überwiegend muslimischen Bevölkerung in der Abhängigkeit – Tschetschenien ist ein Beispiel dafür.
<B< antikolonialistischen>wurden nicht nur vom Verlangen nach politischer Selbstständigkeit getragen, sondern hatten auch einen islamspezifischen geistigen Hintergrund: Man hielt die Lebensweise des Westens für verdorben und wollte sich von ihren schädlichen Einflüssen befreien. Schon im 19. Jahrhundert hatte es eine Bewegung gegeben, Salafiya genannt, die sich bemühte, den Islam durch die Rückkehr zu den »frommen Vorfahren« zu reformieren. Diese Sehnsucht nach einem »reinen« Islam und gegen die Verwestlichung war nun auch ein bestimmendes Element in den nationalen Bewegungen. Der Prozess ist noch längst nicht abgeschlossen.
Als Atatürk 1920 Präsident der Türkei wurde, setzte er sich konsequent für eine Trennung von Politik und Religion ein. Für nicht wenige Muslime war das nicht nachvollziehbar – bis heute nicht, wie die jüngsten Parteiungen in der Türkei zeigen, die gegen einen laizistischen Staat kämpfen. Der Islam der Gegenwart hat die verschiedensten Tendenzen, wenn es um den politischen Stellenwert des Glaubens geht. Was uns dabei vorrangig interessiert – und wohl auch betrifft – ist der so genannte Fundamentalismus.
Die Fundamentalisten verlangen ebenfalls einen Rückgriff auf den Ur-Islam, was vor allem die genaue Befolgung aller Vorschriften bedeutet, wie sie von Mohammed überliefert sind. Doch im Grunde ist der islamische Fundamentalismus heute eine politische Ideologie gegen den »moralischen Verfall«, der vom Westen ausgeht und von dem er die eigene Kultur bedroht sieht. Nicht jeder will aber seine Forderungen mit Gewalt durchsetzen. »Heute teilen sich«, so der eingangs zitierte Adel Theodor Khoury, »die muslimischen Gelehrten in Bezug auf den Dschihad in zwei Lager. Die einen wollen den kämpferischen Charakter dieses Einsatzes nach dem Vorbild des Mittelalters wieder lebendig machen. Die anderen legen den Akzent eher auf den Frieden als eigentlichen Zweck des Einsatzes der Muslime für die Sache des Glaubens. «
Autor(in): Leo Sillner
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