Nirgendwo erlebt man die Faszination des Orients so hautnah wie im Basar. Aber die traditionellen Händlerviertel sind gefährdet: Einkaufscenter und verstopfte Straßen bedrohen ihre Existenz Fass nichts an! Bleib nicht überall stehen. Lass dir nichts schenken! « Mit solchen Sätzen ermahnte meine Mutter mich regelmäßig, wenn wir zum Einkaufen gingen und in die schummrige Kühle des Obstmarktes eintauchten. Obwohl wir schon seit einigen Jahren im Orient lebten, war meiner Mutter das Treiben und Feilschen in den engen Gassen des Suks (so heißt der Basar in arabischen Ländern) immer noch ein wenig unheimlich geblieben.
Nicht stehen bleiben? Das war unmöglich. Tausend Händleraugen schauten, lachten, lockten. Überall luden Säcke,
Kisten und Körbe voll duftender Schätze zum Verweilen ein. Nichts annehmen? Dutzende von Händen streckten mir im Vorbeigehen köstliche Datteln oder Äpfel entgegen. »Da nimm, kleines Fräulein, probiere doch, wie süß sie schmecken! «
Ich liebte den Suk – mit Ausnahme der Metzgergassen, wo mir die blutigen Leiber frisch geschächteter Schafe blankes Entsetzen einflößten. Ich hatte die Sprache der Händler von klein auf gehört und gelernt. Im Gegensatz zu meiner Mutter empfand ich sie nicht als aufdringlich, sondern konnte ihre Gesten und ihr Kopfnicken richtig deuten. Ich genoss die raren Momente, wenn es einem Händler doch einmal gelungen war, meine Mutter zum Bleiben zu verführen. Kostbare Tischdecken waren frisch aus Syrien eingetroffen. Prächtige, feinst bestickte Stoffe, wie für die Tafel eines Sultans. Absolut unwiderstehlich. »Kommen Sie rein, ganz unverbindlich, nur schauen! «
Reinkommen heißt im Basar: über eine Stufe ins Innere des Geschäfts gehen und damit in den Bannkreis des Händlers
eintreten. Sich auf eilfertig herbeigezogenen Stühlen niederlassen, Tee trinken, dem Singsang des Händlers lauschen,
der Sprachbrocken aus aller Welt enthält.
Befühlen, begutachten, schließlich, nach längerem Verhandeln, einig werden und die rituellen Komplimente des zufriedenen Händlers empfangen: »Sie sind heute meine erste Kundin, der Segen Allahs sei mit Ihnen und mit dem Suk. «
Suk oder Basar – beide Bezeichnungen sind gebräuchlich. Das in Europa bekanntere Wort Basar stammt aus alt-
babylonischer Zeit und wird in der Türkei und im Iran benutzt. Gemeint ist mit beiden Begriffen das Gleiche: ein zentral
gelegenes, überdachtes und durch Tore abschließbares Geschäftsviertel. Doch der Basar bietet viel mehr als nur eine Fußgängerzone oder einen Markt in unserem Verständnis. Traditionell enthält er auch Moscheen und Gebetsräume, Krankenhäuser und Schulen, Badehäuser und Raststätten (Karawansereien) für von weit her gekommene Großhändler.
Die Überdachung mit Ziegelsteinen, Schilfrohrmatten oder Wellblech bietet im Sommer Schatten; durch Öffnungen im Dach und in den Mauern kann ständig frische Luft zirkulieren. Im Winter werden die Öffnungen in der Überdachung geschlossen, was dann für angenehme Temperaturen sorgt.
Längst lebte ich wieder in Deutschland, als mich berufliche Angelegenheiten nach vielen Jahren wieder in ein arabisches Land führten, nach Ägypten. Kaum kam meine erste freie Minute, ließ ich mich in den Kairoer Suk fahren. Obwohl ich ihn nicht aus meiner Kindheit kannte, wie etwa die Suks von Beirut, Damaskus und Djeddah, fand ich mich im Gewusel und Gewirr des »Khan El Kahlil« sehr gut zurecht. Ich wusste mit annähernder Sicherheit, wo die Obstmärkte oder die Buchhändlergassen zu finden sein würden.
Das war keine besondere Leistung meiner Intuition, sondern eine Sache der Erfahrung. Denn ob klein wie im südlibanesischen Städtchen Sidon oder gigantisch groß wie in Istanbul, Aleppo und
Teheran: In der gesamten islamischen Welt sind die Basare ähnlich angelegt. Ihre Ursprünge reichen zum Teil bis in die Antike zurück – der Suk von Alexandria steht zum Beispiel auf einer griechischen Agora. Ihre heutige Form stammt aber im Wesentlichen aus dem Mittelalter: Sie enthält die Vorstellungen des Propheten Mohammed und ist eng verwoben mit dem Koran, der nicht nur für das Heil der Seelen zuständig ist, sondern auch fürs Gelingen alltäglicher Geschäfte.
In keinem Basar dürfen Brunnen fehlen. Nicht nur weil sie als Trink- und Reinigungsquelle gebraucht werden, sondern »weil der Klang des Wassers die Seele erfreut«, wie man im Orient sagt. Zumindest früher gab es aber auch weitaus weniger angesehene Plätze: »Die Metzger sind unverschämte Geschöpfe, sie haben außerdem ihre scharfen Messer ständig in den Händen«, schrieb ein gewisser Al Mansur im Bagdad des 13. Jahrhunderts. Und ordnete an: »Legt den Metzgermarkt ans Ende des Suks. «
Ein Gesetz, das bis heute überall im Orient gilt. Aber nicht nur die Schlachter haben ihren angestammten Platz, die gesamte Aufteilung der Basare folgt einer bestimmten Hierarchie, an der es seit Jahrhunderten nichts zu rütteln gibt: Je »unreiner« das Geschäft, desto weiter entfernt befindet es sich von den zentral liegenden Moscheen und Koranschulen. Neben den Fleischern werden auch Gerber – wegen der üblen Gerüche, die sich mit ihrem Gewerbe verbinden – an die Peripherie verbannt, zusammen mit den Töpfern und den Färbern, die Platz und Wasser für ihre Arbeit brauchen.
Ebenfalls noch nahe der Ein – und Ausgänge liegen die Obst- und Gemüse-Märkte. Schon mehr zur Mitte hin finden sich die Lederhändler und Schuhmacher, dann kommen Schneider und Stoffhändler, die traditionell hoch angesehen sind. In den kleineren Seitenstraßen der Textilmärkte arbeiten die Schreiner, Schlosser und Kupferschmiede.
Die A-Klasse der Händler aber ist in unmittelbarer Nähe der Moscheen und Koranschulen zu finden: die Kerzen- und Weihrauchhändler, die Buchbinder und Buchhändler sowie Apotheken und Drogerien. Und natürlich die Duftläden. Der Prophet Mohammed liebte Parfüm über alles, heißt es. Deshalb genießen die Händler der edlen Ware in jedem Basar ein herausragendes Ansehen.
Schon als Kind ging ich am liebsten in die Duftgasse des Suk von Damaskus. Ich konnte mich nicht satt sehen an den bunten Fläschchen der fliegenden Parfümhändler vor der prachtvollen Omajja-den-Moschee mit ihren von flatternden Tauben umringten Minaretten. »Jericho-Narzisse, Aleppo-Rose, Orangenblüten-Essenz« – fast ein wenig gerührt lauschte ich der vertrauten Litanei, als ich vor einigen Jahren alte Freunde in Damaskus besuchte und durch den Suk bummelte.
Als der Händler mein Interesse bemerkte, verdoppelte er den Schmelz in seiner Stimme: »Zypresse, Ambra, Zimt, Opium…« Halt. Opium? Das war mir neu. Interessiert fragte ich nach, welche vielleicht berauschende Essenz sich dahinter verberge. Und erfuhr zu meiner Enttäuschung, dass es sich nur um wie auch immer in den Suk gelangte Probe-Flakons des gleichnamigen französischen Markenparfums handelte.
Die straffe Gliederung der Basare wird traditionell von den Händlergilden und den Kommunen überwacht. Sie dient nicht nur der Übersichtlichkeit, sondern auch der Regulierung der Preise. Die orientalische Ökonomie funktioniert nach liberal-kapitalistischen Grundsätzen. Das heißt: Preise werden nicht von irgendeiner Obrigkeit festgelegt, sondern bestimmen sich flexibel nach Angebot und Nachfrage. Die unmittelbare Nähe der Konkurrenz bewahrt vor Wucher und Dumping – beide sind vom Koran, der ein faires Geschäft für alle verlangt, verboten. Dieses System der Kontrolle funktionierte stets so gut, dass der Prophet Mohammed einmal sagte: Die Preise im Suk werden nicht von den Menschen, sondern von Allah gemacht.
Ein geheimnisvolles Labyrinth – so beschreiben Fremde meist ihre erste Begegnung mit einem orientalischen Basar. Sie verspüren Abenteuerlust, gemischt mit der leisen Furcht, sich in den Eingeweiden des Markts mit seinen vielen Innenhöfen und Seitensträßchen zu verlieren und schließlich in einer Sackgasse zu
landen. Doch das kann in einem traditionellen Basar nicht passieren – denn es gibt keine. Nach islamischem Recht ist eine Sackgasse das Gemeinschaftseigentum der Anwohner und damit nicht für den Durchgangsverkehr bestimmt. Im Basar aber, so will es das Gesetz, soll jede Straße für jeden durchgängig sein. Unweigerlich findet auch der wagemutigste Bummler irgendwann wieder zu einem der Ein- und Ausgangstore.
Stets stellt die Hauptschlagader des Basars eine Verbindung zwischen besonders wichtigen Punkten der Stadt dar: zum Beispiel zwischen zwei großen Stadttoren (Algier, Kairo), zwischen zwei Heiligtümern (Isfahan, Istanbul). Oder sie verbindet Stadttor, Hauptmoschee und Herrscherpalast (Medina, Teheran). Von dieser Aorta verzweigen und verästeln sich dann wie Kapillaren kleinere und größere Gassen.
In der syrischen Stadt Aleppo würden diese aneinandergereiht eine Länge von zwölf Kilometern ergeben. Doch der Anspruch, den größten Basar der Welt zu besitzen, wird nicht nur hier erhoben. Auch Teheran sieht seinen Basar mit rund
50000 Geschäften als unübertroffen an. Ebenso Istanbul für den Kapalicarsi – mit seinen 4500 Läden, 20000 Händlern, fünf Moscheen, 19 Zugängen und sechs Brunnen, auf einer Grundfläche von rund 31 Hektar.
Viele Großbasare orientalischer Metropolen bieten über die Landesgrenzen hinweg ihre speziellen Highlights. Teheran ist ein Hauptumschlagplatz für Teppiche, im Basar von Isfahan findet man handgepinselte Miniaturen von erlesener Schönheit. In Kairo werden die letzten »Tarbusche« hergestellt, rote Filzkappen, die von vergangenen Zeiten erzählen. Und im Suk von Damaskus gibt es »Ghraoui«, das mit Spiegeln verkleidete Reich der tausendundeine Kalorien:
Kuchen, Biskuits und Pralinen, deren Süße die Zunge fast erschreckt, und die bis zum saudi-arabischen Königshof geliefert werden.
So gut wie alle Basarläden, ob klein oder groß, gehören seit Generationen der gleichen Familie. Bis heute wird nur selten ein Standplatz frei. Und wenn es doch einmal passiert, kostet er sehr viel Geld. In Istanbul muss man angeblich schon für ein Geschäft in zweitbester Lage 400000 Euro zahlen.
»Gott liebt den, der Handel treibt«, steht auf einem der Eingangstore des Basars von Istanbul. Das ist keine leere Propaganda in eigener Sache, sondern ein in der islamischen Welt tief empfundener Glaubenssatz. Vielleicht liegt es da- ran, dass Mohammed selbst Kaufmann war, ehe er seine spirituelle Berufung spürte. Oder auch daran, dass im traditionellen orientalischen Verständnis der Handel als die eigentliche Quelle von Kapital gilt – und nicht, wie im Westen, die Produktion von Gütern.
In jedem Fall aber bringt der fromme Spruch mehr Verpflichtungen mit sich als Privilegien: Im Basar herrscht ein hohes Ethos an Ehrlichkeit und Fairness. Ehrlichkeit: In der gesamten 500-jährigen Geschichte des Basars von Istanbul sind nur zwei Fälle von Diebstahl bekannt geworden. Und auch heute noch verlassen viele Händler, zum Beispiel zur Gebetszeit, ihre Läden, ohne sie abzuschließen.
Fairness: »Giwar« ist ein wichtiger Begriff, der das gesamte Leben prägt. Wörtlich übersetzt bedeutet er Nachbarschaft. Nach dem Koran sind alle Basars verpflichtet, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Eines der wahrscheinlich nicht immer befolgten Gebote besagt: Wer ein Geschäft abschließen konnte, soll mit dem zweiten warten, bis auch seine Nachbarn erfolgreich waren.
Unverbrüchlich aber gilt: Muss ein Händler mal schnell weg, überwacht und führt ein Nachbar für die Dauer seiner Abwesenheit das Geschäft in dessen Namen. Dass daraus keine Ungerechtigkeiten entstehen, dafür sorgt ein weiteres ungeschriebenes Gesetz: Wer zu oft Gefälligkeiten ohne Gegenleistung in Anspruch nimmt, verliert sein Gesicht.
Die letzten Stunden des Tages. Die Sonne ist bereits hinter der Gebirgskette versunken, die Rufe der Muezzine zum Abendgebet sind verhallt. Jetzt beginnt die vielleicht schönste Zeit im Suk.
Wann die Tore für die Nacht geschlossen werden und die Händler ihre traditionell außerhalb der Basare gelegenen Wohnquartiere aufsuchen, ist unterschiedlich. In Teheran kehrt bereits gegen 18 Uhr allmählich Ruhe ein; der Suk von Kairo dagegen, mit seinen vielen Imbissstuben und Cafés, bleibt bis mindestens 22 Uhr aktiv.
Auch im Suk von Damaskus ist jetzt, bei einbrechender Dunkelheit, noch kein Ende in Sicht. Gemächlich schlendere
ich durch die Gewürz- und Goldgassen zur Hauptstraße, die von Antiquitätengeschäften, Souvenirshops und Boutiquen mit märchenhaft kitschigen Hochzeit-Roben dominiert wird. Um nicht sofort als Fremde erkannt zu werden, habe ich mir ein Tuch um den Kopf gebunden. »Alemaniye« erklingt es trotzdem aus einem der Geschäfte, das schönes Kunstgewerbe, geschnitzte Stühle und kostbare Stoffe anbietet. Alemaniye – Deutsche? Woran hat der Händler das nur erkannt?
Ich lasse mich einladen auf einen Tee, ein Schälchen frisch geschälter Pistazien und einen Plausch. Bassem heißt der Besitzer des Ladens, und er klagt über das schlechter werdende Geschäft, wie wohl alle Händler der Welt. Hat der Suk noch eine Zukunft in Zeiten von Supermärkten und Einkaufszentren, die sich vor allem in den Großstädten immer breiter machen? »Ich weiß es nicht«, sagt Bassem mit einem Schulterzucken. Vielleicht werden die Basare eines Tages nur noch als Attraktion für Touristen oder als Weltkulturerbe konserviert sein.
Allein das rasche Wachstum der Metropolen könnte bald das Aus für die zentrale Rolle des Basars bedeuten. In Teheran zum Beispiel muss man sich schon jetzt von vielen Stadtvierteln aus mehr als eine Stunde durch den Verkehr quälen, um überhaupt zu ihm zu gelangen. In der iranischen Hauptstadt sollen darüber hinaus von Staats wegen Pläne existieren, den Basar abzureißen, um damit die politische Macht der Händler zu brechen. Denn traditionell stehen die Händlerzünfte den orthodoxen Theologen näher als den meist reformfreudigeren Politikern.
Der Orient ohne lebendigen Suk? Stattdessen künstlich konservierte Ladenstraßen für Historiker und Touristen – so, wie bei uns die altgermanischen Pfahlbauten und altrömischen Kastelle? Nachdenklich schlürfe ich meinen Tee aus dem kleinen Gold- Randglas. Schon jetzt gibt es fast überall in den Suks Verfallserscheinungen. Die Karawansereien mit ihren prachtvollen Innenhöfen verkommen zu schmuddeligen Lagerhallen. Und im Großbasar von Teheran sind von ursprünglich 150 Bade-Häusern nur noch zehn übrig geblieben.
Was für den Erhalt der Basare spricht: »Hier ist immerhin alles ein bisschen billiger als in den anderen Einkaufsvierteln – sogar das Gold«, sagt Bassem. Und fügt schnell hinzu: »Man muss aber feilschen können. «
Also feilsche ich um ein zusammenklappbares Schachbrett aus Ebenholz mit aufwendigen Perlmutt-Intarsien. »Du weißt doch«, sage ich schließlich, »der letzte Kunde des Tages bekommt Sonder-Rabatt. « Bassem pfeift ob meines Wissens bewundernd durch die Zähne. Und besiegelt das Geschäft, so wie es sich gehört, mit Handschlag.
Eine letzte Frage: Wie hat er erkannt, dass ich Deutsche bin? »An deinem Gang«, sagt er. Mein energischer Gang – dabei hatte ich das Gefühl, einfach nur zu schlendern. »Ihr Deutschen versteht es nicht, euch treiben zu lassen. Ihr erledigt eure Einkäufe, aber ihr genießt sie nicht. Wir Orientalen haben mehr Zeit. El-Hamdillulah. Gott sei Dank.«
Autor(in): Sabine Schwabenthan
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